|   ex:   Reihe Moderne Zeitfragen, herausgegeben von  Hans Landsberg, No. 11) Berlin: Pan-Verlag o. J. (1905), 41  S.  | 
Die Art, wie es uns gegeben ist, die Erscheinungen des Lebens  aufzufassen, läßt uns an jedem Punkte des Daseins eine Mehrheit von Kräften  fühlen; und zwar so, daß eine jede von diesen eigentlich über die wirkliche  Erscheinung hinausstrebt, ihre Unendlichkeit an der andern bricht und in bloße  Spannkraft und Sehnsucht umsetzt.
 Denn der Mensch ist ein dualistisches Wesen von Anbeginn an;  und dies verhindert die Einheitlichkeit seines Tuns so wenig, daß es grade erst  als Ergebnis einer Vielfachheit von Elementen eine kraftvolle Einheit zeigt.
 Eine Erscheinung, der solche Verzweigung von Wurzelkräften  fehlte, würde uns arm und leer sein.
 Erst indem jede innere Energie über das Maß ihrer sichtbaren  Äußerung hinausdrängt, gewinnt das Leben jenen Reichtum unausgeschöpfter  Möglichkeiten, der seine fragmentarische Wirklichkeit ergänzt; erst damit lassen  seine Erscheinungen tiefere Kräfte, ungelöstere Spannungen, Kampf und Frieden  umfänglicherer Art ahnen, als ihre unmittelbare Gegebenheit verrät.
 Dieser Dualismus kann nicht unmittelbar beschrieben, sondern  nur an den einzelnen Gegensätzen, die für unser Dasein typisch sind, als ihre  letzte, gestaltende Form gefühlt werden.
 Den ersten Fingerzeig gibt die physiologische Grundlage unseres  Wesens: dieses bedarf der Bewegung wie der Ruhe, der Produktivität wie der  Rezeptivität.
 Dies in das Leben des Geistes fortsetzend, werden wir  einerseits von der Bestrebung nach dem Allgemeinen gelenkt, wie von dem  Bedürfnis, das Einzelne zu erfassen; jenes gewährt unserm Geist Ruhe, die  Besonderung läßt ihn von Fall zu Fall sich bewegen.
 Und nicht anders im Gefühlsleben: wir suchen nicht weniger die  ruhige Hingabe an Menschen und Dinge, wie die energische Selbstbehauptung beiden  gegenüber.
 Die ganze Geschichte der Gesellschaft läßt sich an dem Kampf,  dem Kompromiß, den langsam gewonnenen und schnell verlorenen Versöhnungen  abrollen, die zwischen der Verschmelzung mit unserer sozialen Gruppe und der  individuellen Heraushebung aus ihr auftreten.
 Mag sich die Schwingung unsrer Seele zwischen diesen Polen  philosophisch verkörpern im Gegensatz der All-Einheits-Lehre und dem Dogma von  der Unvergleichlichkeit, dem Für-sich-sein jedes Weltelementes, mögen sie sich  praktisch bekämpfen als die Parteigegensätze des Sozialismus und des  Individualismus, immer ist es eine und dieselbe Grundform der Zweiheit, die sich  schließlich im biologischen Bilde als der Gegensatz von Vererbung und  Variabilität offenbart -die erste der Träger des Allgemeinen, der Einheit, der  beruhigten Gleichheit von Formen und Inhalten des Lebens, die andere die  Bewegtheit, die Mannigfaltigkeit gesonderter Elemente, die unruhige Entwicklung  eines individuellen Lebensinhaltes zu einem anderen erzeugend.
 Jede wesentliche Lebensform in der Geschichte unserer Gattung  stellt auf ihrem Gebiete eine besondere Art dar, das Interesse an der Dauer, der  Einheit, der Gleichheit mit dem an der Veränderung, dem Besonderen, dem  Einzigartigen zu vereinen.
 Innerhalb der sozialen Verkörperung dieser Gegensätze wird die  eine Seite derselben meistens von der psychologischen Tendenz zur Nachahmung  getragen.
 Die Nachahmung könnte man als eine psychologische Vererbung  bezeichnen, als den Übergang des Gruppenlebens in das individuelle Leben.
 Ihr Reiz ist zunächst der, daß sie uns ein zweckmäßiges und  sinnvolles Tun auch da ermöglicht, wo nichts Persönliches und Schöpferisches auf  den Plan tritt.
 Man möchte sie das Kind des Gedankens mit der Gedankenlosigkeit  nennen.
 Sie gibt dem Individuum die Beruhigung, bei seinem Handeln  nicht allein zu stehen, sondern erhebt sich über den bisherigen Ausübungen  derselben Tätigkeit wie auf einem festen Unterbau, der die jetzige von der  Schwierigkeit, sich selbst zu tragen, entlastet.
 Wo wir nachahmen, schieben wir nicht nur die Forderung  produktiver Energie von uns auf den andern, sondern zugleich auch die  Verantwortung für dieses Tun; so befreit sie das Individuum von der Qual der  Wahl und läßt es schlechthin als ein Geschöpf der Gruppe, als ein Gefäß sozialer  Inhalte erscheinen.
 Der Nachahmungstrieb als Prinzip charakterisiert eine  Entwicklungsstufe, auf der der Wunsch zweckmäßiger persönlicher Tätigkeit  lebendig, aber die Fähigkeit, individuelle Inhalte derselben zu gewinnen, nicht  vorhanden ist.
 Der Fortschritt über diese Stufe hinaus ist der, daß außer dem  Gegebenen, dem Vergangenen, dem Überlieferten die Zukunft das Denken,  Handeln und Fühlen bestimmt: der teleologische Mensch ist der Gegenpol des  Nachahmenden.
 So entspricht die Nachahmung in all den Erscheinungen, für die  sie ein bildender Faktor ist, einer der Grundrichtungen unseres Wesens,  derjenigen, die sich an der Einschmelzung des Einzelnen in die Allgemeinheit  befriedigt, die das Bleibende im Wechsel betont.
 Wo aber umgekehrt der Wechsel im Bleibenden gesucht wird, die  individuelle Differenzierung, das Sich-abheben von der Allgemeinheit, da ist die  Nachahmung das negierende und hemmende Prinzip.
 Und gerade weil die Sehnsucht, bei dem Gegebenen zu verharren  und das gleiche zu tun und zu sein wie die anderen, der unversöhnliche Feind  jener ist, die zu neuen und eigenen Lebensformen vorschreiten will, darum wird  das gesellschaftliche Leben als der Kampfplatz erscheinen, auf dem jeder  Fußbreit von beiden umstritten wird, die gesellschaftlichen Institutionen als  die - niemals dauernden -Versöhnungen, in denen der weiterwirkende Antagonismus  beider die äußere Form einer Kooperation angenommen hat.
 Die Lebensbedingungen der Mode als einer durchgängigen  Erscheinung in der Geschichte unserer Gattung sind hiermit umschrieben.
 Sie ist Nachahmung eines gegebenen Musters und genügt damit dem  Bedürfnis nach sozialer Anlehnung, sie führt den Einzelnen auf die Bahn, die  Alle gehen, sie gibt ein Allgemeines, das das Verhalten jedes Einzelnen zu einem  bloßen Beispiel macht.
 Nicht weniger aber befriedigt sie das Unterschiedsbedürfnis,  die Tendenz auf Differenzierung, Abwechslung, Sich-abheben.
 Und dies letztere gelingt ihr einerseits durch den Wechsel der  Inhalte, der die Mode von heute individuell prägt gegenüber der von gestern und  von morgen, es gelingt ihr noch energischer dadurch, daß Moden immer  Klassenmoden sind, daß die Moden der höheren Schicht sich von der der tieferen  unterscheiden und in dem Augenblick verlassen werden, in dem diese letztere sie  sich anzueignen beginnt.
 So ist die Mode nichts anderes als eine besondere unter den  vielen Lebensformen, durch die man die Tendenz nach sozialer Egalisierung mit  der nach individueller Unterschiedenheit und Abwechslung in einem einheitlichen  Tun zusammenführt.
 Fragte man die Geschichte der Moden, die bisher nur auf die  Entwicklung ihrer Inhalte untersucht worden ist, nach ihrer Bedeutung für  die Form des gesellschaftlichen Prozesses, so ist sie die Geschichte der  Versuche, die Befriedigung dieser beiden Gegentendenzen immer vollkommener dem  Stande der jeweiligen individuellen und gesellschaftlichen Kultur  anzupassen.
 In dieses Grundwesen der Mode ordnen sich die einzelnen  psychologischen Züge ein, die wir an ihr beobachten.
 Sie ist, wie ich sagte, ein Produkt klassenmäßiger Scheidung  und verhält sich so wie eine Anzahl anderer Gebilde, vor allem wie die Ehre,  deren Doppelfunktion es ist, einen Kreis in sich zusammen- und ihn zugleich von  anderen abzuschließen.
 Wie der Rahmen eines Bildes das Kunstwerk als einheitliches, in  sich zusammengehöriges, als eine Welt für sich charakterisiert und zugleich,  nach außen wirkend, alle Beziehungen zu der räumlichen Umgebung abschneidet; wie  die einheitliche Energie solcher Gebilde für uns nicht anders ausdrückbar ist,  als indem wir sie in die Doppelwirkung nach innen und nach außen zerlegen, - so  zieht die Ehre ihren Charakter und vor allem ihre sittlichen Rechte - Rechte,  die sehr häufig von dem Standpunkt der außerhalb der Klasse Stehenden als  Unrecht empfunden werden - daraus, daß der Einzelne in seiner Ehre eben zugleich  die seines sozialen Kreises, seines Standes, darstellt und bewahrt.
 So bedeutet die Mode einerseits den Anschluß an die  Gleichgestellten, die Einheit eines durch sie charakterisierten Kreises, und  eben damit den Abschluß dieser Gruppe gegen die tiefer Stehenden, die  Charakterisierung dieser als nicht zu jener gehörig.
 Verbinden und Unterscheiden sind die beiden Grundfunktionen,  die sich hier untrennbar vereinigen, von denen eines, obgleich oder weil es den  logischen Gegensatz zu dem andern bildet, die Bedingung seiner Verwirklichung  ist.
 Daß die Mode so ein bloßes Erzeugnis sozialer Bedürfnisse ist,  wird vielleicht durch nichts stärker erwiesen als dadurch, daß in sachlicher,  ästhetischer oder sonstiger Zweckmäßigkeitsbeziehung unzählige Male nicht der  geringste Grund für ihre Gestaltungen auffindbar ist.
 Während im allgemeinen z. B. unsere Kleidung unsern  Bedürfnissen sachlich angepaßt ist, waltet keine Spur von Zweckmäßigkeit in den  Entscheidungen, durch die die Mode sie formt: ob weite oder enge Röcke, spitze  oder breite Frisuren, bunte oder schwarze Krawatten getragen werden.
 So häßliche und widrige Dinge sind manchmal modern, als wollte  die Mode ihre Macht gerade dadurch zeigen, daß wir ihretwegen das Abscheulichste  auf uns nehmen; gerade die Zufälligkeit, mit der sie einmal das Zweckmäßige, ein  andermal das Abstruse, ein drittes Mal das sachlich und ästhetisch ganz  Indifferente anbefiehlt, zeigt ihre völlige Gleichgültigkeit gegen die  sachlichen Normen des Lebens, womit sie eben auf andere Motivierungen, nämlich  die formal-sozialen, als die einzig übrig bleibenden hinweist.
 Gewiß mag sie gelegentlich sachlich begründete Inhalte  aufnehmen, aber als Mode wirkt sie erst, wenn die Unabhängigkeit gegen jede  andere Motivierung positiv fühlbar wird, wie unser pflichtmäßiges Tun erst dann  als ganz sittlich gilt, wenn nicht sein äußerer Inhalt und Zweck uns dazu  bestimmt, sondern ausschließlich die Tatsache, daß es eben Pflicht ist.
 Darum ist die Herrschaft der Mode am unerträglichsten auf den  Gebieten, auf denen nur sachliche Entscheidungen gelten sollen: Religiosität,  wissenschaftliche Interessen, ja, Sozialismus und Individualismus sind freilich  Modesachen gewesen; aber die Motive, aus denen diese Lebensinhalte allein  angenommen werden sollten, stehen in absolutem Gegensatz zu der vollkommenen  Unsachlichkeit in den Entwicklungen der Mode.
 Wenn die gesellschaftlichen Formen, die Kleidung, die  ästhetischen Beurteilungen, der ganze Stil, in dem der Mensch sich ausdrückt, in  fortwährender Umbildung durch die Mode begriffen sind, so kommt die Mode, d. h.  die neue Mode, in alledem nur den oberen Ständen zu.
 Sobald die unteren sich die Mode anzueignen beginnen und damit  die von den oberen gesetzte Grenzmarkierung überschreiten, die Einheitlichkeit  in dem so symbolisierten Zusammengehören jener durchbrechen, wenden sich die  oberen Stände von dieser Mode ab und einer neuen zu, durch die sie sich wieder  von den breiten Massen differenzieren, und an der das Spiel von neuem  beginnt.
 Denn naturgemäß sehen und streben die unteren Stände nach oben  und können dies noch am ehesten auf den Gebieten, die der Mode unterworfen sind,  weil diese am meisten äußerlicher Nachahmung zugänglich sind.
 Derselbe Prozeß spielt -nicht immer so ersichtlich wie etwa  zwischen Damen und Dienstmädchen - zwischen den verschiedenen Schichten der  höheren Stände.
 Vielfach kann man gerade bemerken, daß, je näher die Kreise  aneinandergerückt sind, desto toller die Jagd des Nachmachens von unten und die  Flucht zum Neuen von oben ist; die durchdringende Geldwirtschaft muß diesen  Prozeß erheblich beschleunigen und sichtbar machen, weil die Gegenstände der  Mode, als die Äußerlichkeiten des Lebens, ganz besonders dem bloßen Geldbesitz  zugänglich sind, und in ihnen deshalb die Gleichheit mit der oberen Schicht  leichter herzustellen ist als auf allen Gebieten, die eine individuelle, nicht  mit Geld abkaufbare Bewährung fordern.
 Wie sehr dieses Abscheidungsmoment - neben dem  Nachahmungsmoment - das Wesen der Mode bildet, zeigen ihre Erscheinungen da, wo  die gesellschaftliche Struktur keine über einander gelagerten Schichten besitzt;  dann sind es oft die neben einander gelagerten, die sie ergreift.
 Es wird von einigen Naturvölkern berichtet, daß eng benachbarte  und unter den genau gleichen Bedingungen lebende Gruppen manchmal scharf  gesonderte Moden ausbilden, durch die jede Gruppe den Zusammenschluß nach innen  ebenso wie die Differenz nach außen markiert.
 Andrerseits wird die Mode mit besonderer Vorliebe von außen  importiert und innerhalb eines Kreises um so mehr geschätzt, wenn sie nicht  innerhalb seiner selbst entstanden ist; schon der Prophet Zephanja spricht  unwillig von den Vornehmen in ausländischer Kleidung.
 Tatsächlich scheint der exotische Ursprung der Mode den  Zusammenschluß der Kreise, auf den sie angelegt ist, mit besonderer Stärke zu  begünstigen; grade dadurch, daß sie von außen kommt, schafft sie jene besondere  und bedeutsame Form der Sozialisierung, die durch die gemeinsame Beziehung zu  einem außerhalb gelegenen Punkte eintritt.
 Es scheint manchmal, als ob die sozialen Elemente wie die  Augenachsen am besten auf einen nicht zu nahe gelegenen Punkt konvergierten.
 So besteht bei Naturvölkern das Geld, also der wirtschaftliche  Wert schlechthin, der Gegenstand des äußersten allgemeinen Interesses, oft aus  Zeichen, die von auswärts eingeführt werden; so daß es in manchen Gegenden (auf  den Salomo-Inseln, in Ibo am Niger) eine Art Industrie ist, aus Muscheln oder  sonst Geldzeichen herzustellen, die nicht am Herstellungsort selbst, sondern in  benachbarten Gegenden, wohin sie exportiert werden, als Geld kursieren - gerade  wie die Moden in Paris vielfach mit bloßer Rücksicht darauf, daß sie anderswo  Mode werden, produziert werden.-
 In Paris selbst zeigt die Mode die weiteste Spannung und  Versöhnung ihrer dualistischen Elemente.
 Der Individualismus, die Anpassung an das persönlich Kleidsame,  ist viel tiefer als in Deutschland; aber dabei wird ein gewisser ganz weiter  Rahmen des allgemeinen Stiles, der aktuellen Mode, streng festgehalten, so daß  die einzelne Erscheinung nie aus dem Allgemeinen herausfällt, aber sich immer  aus ihm heraushebt.
 Wo von den beiden sozialen Tendenzen, die zur Bildung der Mode  zusammenkommen müssen, nämlich dem Bedürfnis des Zusammenschlusses einerseits  und dem Bedürfnis der Absonderung andrerseits, auch nur eines fehlt, wird die  Bildung der Mode ausbleiben, wird ihr Reich enden.
 Darum haben die unteren Stände sehr wenige und seltene  spezifische Moden, darum sind die Moden der Naturvölker so sehr viel stabiler  als die unsrigen.
 Es fehlt bei den letzteren, vermöge ihrer sozialen Struktur,  die Gefahr der Vermischung und Verwischung, die die Klassen der Kulturvölker zu  den Differenzierungen von Kleidung, Benehmen, Geschmack usw. veranlaßt.
 Eben durch diese Differenzierungen werden die an der  Absonderung interessierten Gruppenabteilungen zusammengehalten: der Gang, das  Tempo, der Rhythmus der Gesten wird zweifellos durch die Kleidung wesentlich  bestimmt, gleich gekleidete Menschen benehmen sich relativ gleichartig.
 Für das moderne Leben mit seiner individualistischen  Zersplitterung ist dies ganz besonders wertvoll.
 Und auch darum wird die Mode bei den Naturvölkern geringer, d.  h. stabiler sein, weil das Bedürfnis der Neuheit der Eindrücke und Lebensformen,  ganz abgesehen von ihrer sozialen Wirkung, bei ihnen ein sehr viel geringeres  ist.
 Der Wechsel der Mode zeigt das Maß der Abstumpfbarkeit der  Nervenreize an, je nervöser ein Zeitalter ist, desto rascher werden seine Moden  wechseln, weil das Bedürfnis nach Unterschiedsreizen, einer der wesentlichen  Träger aller Mode, mit der Erschlaffung der Nervenenergien Hand in Hand  geht.
 Schon dies ist ein Grund, weshalb die höheren Stände den  eigentlichen Sitz der Mode ausmachen.
 In Bezug auf die rein sozialen Veranlassungen derselben geben  zwei einander benachbarte primitive Völker sehr beweisende Beispiele für ihren  Zweck der Zusammenschließung und Abschließung.
 Die Kaffern haben eine sehr reich gegliederte soziale  Stufenordnung, und bei ihnen findet man, obgleich Kleider und Schmuck gewissen  gesetzlichen Einschränkungen unterliegen, ein ziemlich rasches Wechseln der  Mode; die Buschmänner dagegen, bei denen eine Klassenbildung überhaupt nicht  stattgefunden hat, haben überhaupt keine Mode ausgebildet, d. h. es ist an ihnen  kein Interesse für den Wechsel von Kleidung und Schmuck festgestellt.
 Eben diese negativen Gründe haben gelegentlich auf den Höhen  der Kultur, nun aber mit vollem Bewußtsein, die Ausbildung einer Mode  verhindert.
 In Florenz soll es um das Jahr 1390 deshalb keine herrschende  Mode der männlichen Kleidung gegeben haben, weil jeder sich auf besondere Weise  zu tragen suchte.
 Hier fehlt also das eine Moment, das Bedürfnis des  Zusammenschlusses, ohne das es zu keiner Mode kommen kann.
 Andrerseits: die venezianischen Nobili, so wird berichtet,  hätten keine Mode gehabt, da sie sich alle infolge eines Gesetzes schwarz zu  kleiden hatten, um nicht die Kleinheit ihrer Zahl den unteren Massen gar zu  anschaulich zu machen.
 Hier gab es also keine Mode, weil das andere konstitutive  Element für sie fehlte, weil die Abscheidung gegen die tiefer Stehenden  absichtlich vermieden werden sollte.
 Das Wesen der Mode besteht darin, daß immer nur ein Teil der  Gruppe sie übt, die Gesamtheit aber sich erst auf dem Wege zu ihr befindet.
 Sobald sie völlig durchdrungen ist, d. h. sobald einmal  dasjenige, was ursprünglich nur einige taten, wirklich von allen ausnahmslos  geübt wird, wie es bei gewissen Elementen der Kleidung und der Umgangsformen  geschah, so bezeichnet man es nicht mehr als Mode.
 Jedes Wachstum ihrer treibt sie ihrem Ende zu, weil sie dadurch  die Unterschiedlichkeit aufhebt.
 Sie hat durch dieses Spiel zwischen der Tendenz auf allgemeine  Verbreitung und der Vernichtung ihres Sinnes, die diese Verbreitung gerade  herbeiführt, den eigentümlichen Reiz der Grenze, den Reiz gleichzeitigen  Anfanges und Endes, den Reiz der Neuheit und gleichzeitig den der  Vergänglichkeit.
 Ihre Frage ist nicht Sein oder Nichtsein, sondern sie ist  zugleich Sein und Nichtsein, sie steht immer auf der Wasserscheide von  Vergangenheit und Zukunft und gibt uns so, solange sie auf ihrer Höhe ist, ein  so starkes Gegenwartsgefühl, wie wenige andre Erscheinungen.
 Wenn In der momentanen Aufgipfelung des sozialen Bewußtseins  auf den Punkt, den sie bezeichnet, auch schon ihr Todeskeim liegt, ihre  Bestimmung zum Abgelöst-werden, so deklassiert diese Vergänglichkeit sie im  ganzen nicht, sondern fügt ihren Reizen einen neuen hinzu.
 Wenigstens nur dann erfährt ein Gegenstand durch seine  Bezeichnung als »Modesache« eine Abwürdigung, wenn man Ihn aus anderen,  sachlichen Gründen perhorresziert und herabzusetzen wünscht, so daß dann  freilich die Mode zum Wertbegriff wird.
 Irgend etwas sonst in gleicher Weise Neues und plötzlich  Verbreitetes in der Praxis des Lebens wird man nicht als Mode bezeichnen, wenn  man an seinen Weiterbestand und seine sachliche Begründetheit glaubt; nur  der wird es so nennen, der von einem ebenso schnellen Verschwinden jener  Erscheinung, wie ihr Kommen war, überzeugt ist.
 Deshalb gehört zu den Gründen, aus denen die Mode heute so  stark das Bewußtsein beherrscht, auch der, daß die großen, dauernden,  unfraglichen Überzeugungen mehr und mehr an Kraft verlieren.
 Die flüchtigen und veränderlichen Elemente des Lebens gewinnen  dadurch um so mehr Spielraum.
 Der Bruch mit der Vergangenheit, den zu vollziehen die  Kulturmenschheit seit mehr als hundert Jahren sich unablässig bemüht, spitzt das  Bewußtsein mehr und mehr auf die Gegenwart zu.
 Diese Betonung der Gegenwart ist ersichtlich zugleich Betonung  des Wechsels, und in demselben Maße, in dem ein Stand Träger der bezeichneten  Kulturtendenz ist, in demselben Maß wird er sich der Mode auf allen Gebieten,  keineswegs etwa nur auf dem der Kleidung, zuwenden, ja es ist fast ein Zeichen  der gestiegenen Macht der Mode, daß sie statt ihrer ursprünglichen  Domäne: der Äußerlichkeiten des Sichtragens, mehr und mehr auch den Geschmack,  die theoretischen Überzeugungen, ja die sittlichen Fundamente des Lebens in ihre  Wechselform hinabzieht.
 Aus jener Tatsache nun, daß die Mode als solche eben noch nicht  allgemein verbreitet sein kann, quillt für den einzelnen die Befriedigung, daß  sie an ihm immerhin noch etwas Besonderes und Auffälliges darstellt, während er  doch zugleich innerlich sich von einer Gesamtheit getragen fühlt, die nach dem  gleichen strebt, nicht, wie bei sonstigen sozialen Befriedigungen, von einer  Gesamtheit, die das gleiche tut.
 Deshalb ist die Gesinnung, der der Modische begegnet, eine  offenbar wohltuende Mischung von Billigung und Neid.
 Man beneidet den Modischen als Individuum, man billigt ihn als  Gattungswesen.
 Aber auch jener Neid selbst hat hier eine besondere  Färbung.
 Es gibt eine Nuance des Neides, die eine Art ideellen  Anteilhabens an den beneideten Gegenständen einschließt.
 Das Verhalten der Proletarier, wenn sie einen Blick in die  Feste der Reichen tun können, ist hierfür ein lehrreiches Beispiel.
 Indem man einen Gegenstand oder einen Menschen beneidet, ist  man schon nicht mehr absolut von ihm ausgeschlossen, man hat irgend eine  Beziehung zu jenem gewonnen, zwischen beiden besteht nun der gleiche seelische  Inhalt, wenngleich in ganz verschiedenen Kategorien und Gefühlsformen.
 Dieses leise Sich-bemächtigen des beneideten Gutes - das auch  das Glück der unglücklichen Liebe ist - enthält eine Art Gegengift, das manchmal  die schlimmsten Ausartungen des Neidgefühles verhindert.
 Und grade die Inhalte der Mode bieten sich, weil sie nicht, wie  viele andere Seeleninhalte, irgend jemandem absolut versagt sind, weil  eine nie ganz ausgeschlossene Wendung der Geschicke sie auch dem gewähren kann,  der vorläufig nur auf das Beneiden ihrer angewiesen ist, ganz besonders die  Chance für diese versöhnlichere Färbung des Neides, die auch dem Beneideten ein  besseres Gewissen für die Freude an seiner Begünstigtheit gewährt.
 Aus alledem ergibt sich, daß die Mode der eigentliche  Tummelplatz für Individuen ist, welche innerlich unselbständig und  anlehnungsbedürftig sind, deren Selbstgefühl aber doch zugleich einer gewissen  Auszeichnung, Aufmerksamkeit, Besonderung bedarf.
 Sie erhebt eben auch den Unbedeutenden dadurch, daß sie ihn zum Repräsentanten einer Gesamtheit macht, zur Verkörperung eines Gesamtgeistes.
Ihr ist es eigen - weil sie ihrem Begriffe nach eine niemals von Allen erfüllte Norm sein kann -, daß sie einen sozialen Gehorsam ermöglicht, der zugleich individuelle Differenzierung ist.
In dem Modenarren erscheinen die gesellschaftlichen Forderungen der Mode auf eine Höhe gesteigert, auf der sie völlig den Anschein des Individualistischen und Besonderen annehmen.
Ihn bezeichnet es, daß er die Tendenz der Mode über das sonst innegehaltene Maß hinaustreibt: wenn spitze Schuhe Mode sind, läßt er die seinigen in Lanzenspitzen münden, wenn hohe Kragen Mode sind, trägt er sie bis zu den Ohren, wenn es Mode ist, wissenschaftliche Vorträge zu hören, so ist er überhaupt nirgends anders mehr zu finden usw.
So stellt er ein ganz Individuelles vor, das in der quantitativen Steigerung solcher Elemente besteht, die ihrer Qualität nach eben Gemeingut des betreffenden Kreises sind.
Er geht den andern voran - aber genau auf ihrem Wege.
Indem es die letzterreichten Spitzen des öffentlichen Geschmackes sind, die er darstellt, scheint er an der Tête der Gesamtheit zu marschieren.
In Wirklichkeit aber gilt von ihm, was unzählige Male für das Verhältnis zwischen Einzelnen und Gruppen gilt: daß der Führende im Grunde der Geführte ist. Demokratische Zeiten begünstigen ersichtlich ganz besonders stark diese Konstellation, so daß sogar Bismarck und sonstige hervorragende Parteiführer konstitutioneller Staaten betont haben, daß sie, weil sie die Führer einer Gruppe sind, ihr folgen müssen.
Derartige Zeiten werden dazu neigen, die Würde und das Gefühl des Herrschens auf diesem Wege zu gewinnen, sie werden eine Vermischung und Unklarheit der Empfindungen begünstigen, die zwischen dem Beherrschen der Masse und dem Beherrschwerden durch sie nicht mehr zu scheiden weiß.
Die Aufgeblasenheit des Modenarren ist so die Karikatur einer durch die Demokratie begünstigten Konstellation des Verhältnisses zwischen dem Einzelnen und der Gesamtheit.
Unleugbar aber repräsentiert der Modeheld durch die auf rein quantitativem Wege gewonnene und in eine Differenz der Qualität sich verkleidende Auszeichnung ein wirklich originelles Gleichgewichtsverhältnis zwischen dem sozialen und dem individualisierenden Triebe.
Aus diesem Grunde verstehen wir die äußerlich so abstruse  Modetorheit mancher sonst durchaus intelligenter und unkleinlicher  Persönlichkeiten.
 Sie gibt ihnen eine Kombination von Verhältnissen zu Dingen und  Menschen, die sonst gesonderter aufzutreten pflegen.
 Es ist nicht nur die Mischung individueller Besonderheit und  sozialer Gleichheit, sondern, sozusagen praktischer werdend, ist es die von  Herrschergefühl und Unterworfenheit, die hier ihre Wirkungen übt, oder, etwas  anders gewendet, eines männlichen und eines weiblichen Prinzips; und gerade daß  dies auf den Gebieten der Mode nur wie in einer ideellen Verdünnung vor sich  geht, daß gleichsam nur die Form von beiden an einem an sich gleichgültigen  Inhalt sich verwirklicht, mag ihr besonders für sensible, mit der robusten  Wirklichkeit sich nicht leicht befassende Naturen eine besondere Attraktion  verleihen.
 Das Leben gemäß der Mode ist in sachlicher Hinsicht eine  Mischung von Zerstören und Aufbauen, in dem Vernichten einer früheren Form  gewinnt ihr Inhalt seinen Charakter, er besitzt eine eigentümliche  Einheitlichkeit, in der die Befriedigung des Zerstörungstriebes und des Triebes  zu positiven Inhalten nicht mehr voneinander zu trennen sind.
 Weil es sich hier nicht um die Bedeutsamkeit eines einzelnen  Inhaltes oder einer Einzelbefriedigung, sondern grade um das Spiel zwischen  beiden und ihr gegenseitiges Sich-abheben handelt, kann man ersichtlich die  gleiche Kombination, die der extreme Gehorsam der Mode gegenüber erreicht, auch  grade durch Opposition ihr gegenüber gewinnen.
 Wer sich bewußt unmodern trägt oder benimmt, erreicht das damit  verbundene Individualisierungsgefühl nicht eigentlich durch eigene individuelle  Qualifikation, sondern durch bloße Negation des sozialen Beispiels wenn  Modernität Nachahmung dieses letzteren ist, so ist die absichtliche Unmodernität  seine Nachahmung mit umgekehrtem Vorzeichen, die aber darum nicht weniger  Zeugnis von der Macht der sozialen Tendenz ablegt, die uns in irgend einer  positiven oder negativen Weise von sich abhängig macht.
 Der absichtlich Unmoderne nimmt genau den Inhalt wie der  Modenarr auf, nur daß er ihn in eine andere Kategorie formt, jener in die der  Steigerung, dieser in die der Verneinung.
 Es kann sogar in ganzen Kreisen innerhalb einer ausgedehnten  Gesellschaft direkt Mode werden, sich unmodern zu tragen -eine der  merkwürdigsten sozialpsychologischen Komplikationen, in der der Trieb nach  individueller Auszeichnung sich erstens mit einer bloßen Umkehrung der sozialen  Nachahmung begnügt und zweitens seinerseits wieder seine Stärke aus der  Anlehnung an einen gleich charakterisierten engeren Kreis zieht; wenn ein Verein  der Vereinsgegner gegründet würde, würde er nicht logisch unmöglicher und  psychologisch möglicher sein als diese Erscheinung.
 Wie man aus dem Atheismus eine Religion gemacht hat, Mit ganz  demselben Fanatismus, derselben Intoleranz, derselben Befriedigung der  Gemütsbedürfnisse, wie die Religion sie enthielt, wie die Freiheit, durch die  eine Tyrannei gebrochen wurde, oft nicht weniger tyrannisch und vergewaltigend  auftrat, so zeigt jene Erscheinung tendenziöser Unmodernität, wie bereit die  Grundformen des menschlichen Wesens sind, die völlige Entgegengesetztheit von  Inhalten in sich aufzunehmen und ihre Kaft und ihren Reiz an der Verneinung eben  dessen zu zeigen, an dessen Bejahung sie soeben noch unwiderruflich geknüpft  schienen.
 So ist es oft völlig unentwirrbar, ob die Momente persönlicher  Stärke oder persönlicher Schwäche das Übergewicht in dem Ursachenkomplex solcher  Unmodernität haben.
 Sie kann hervorgehen aus dem Bedürfnis, sich nicht mit der  Menge gemein zu machen, ein Bedürfnis, das freilich nicht Unabhängigkeit von der  Menge, aber immerhin eine innerlich souveräne Stellung ihr gegenüber zum Grunde  hat; sie kann aber auch zu einer schwächlichen Sensibilität gehören, wenn das  Individuum fürchtet, sein bißchen Individualität nicht bewahren zu können, falls  es sich den Formen, dem Geschmacke, den Gesetzlichkeiten der Allgemeinheit  fügt.
 Die Opposition gegen die letztere ist keineswegs immer ein  Zeichen persönlicher Stärke, diese vielmehr wird sich ihres einzigartigen und  durch keine äußere Konnivenz zerstörbaren Wertes so bewußt sein, daß sie sich  nicht nur ohne Besorgnis den allgemeinen Formen bis zur Mode herunter fügt,  sondern gerade an diesem Gehorsam sich der Freiwilligkeit ihres Gehorsams  und dessen, was jenseits des Gehorsams steht, erst recht bewußt wird.
 Wenn die Mode den Egalisierungs- und den  Individualisierungstrieb, den Reiz der Nachahmung und den der Auszeichnung  zugleich zum Ausdruck bringt und betont, so erklärt dies vielleicht, weshalb die  Frauen im allgemeinen der Mode besonders stark anhängen.
 Aus der Schwäche der sozialen Position nämlich, zu der die  Frauen den weit überwiegenden Teil der Geschichte hindurch verurteilt waren,  ergibt sich ihre enge Beziehung zu allem, was »Sitte« ist, zu dem, »was sich  ziemt«, zu der allgemein gültigen und gebilligten Daseinsform.
 Denn der Schwache vermeidet die Individualisierung, das  Auf-sich-ruhen mit seinen Verantwortlichkeiten und seiner Notwendigkeit, sich  ganz allein mit eigenen Kräften zu verteidigen.
 Ihm gewährt gerade nur die typische Lebensform Schutz, die den  Starken an der Ausnutzung seiner exzeptionellen Kräfte hindert.
 Auf diesem festgehaltenen Boden der Sitte aber, des  Durchschnittlichen, des allgemeinen Niveaus streben die Frauen nun stark zu der  so noch möglichen relativen Individualisierung und Auszeichnung der  Einzelpersönlichkeit.
 Die Mode bietet ihnen gerade diese Kombination aufs  glücklichste: einerseits ein Gebiet allgemeiner Nachahmung, ein Schwimmen im  breitesten sozialen Fahrwasser, eine Entlastung des Individuums von der  Verantwortlichkeit für seinen Geschmack und sein Tun - andererseits doch eine  Auszeichnung, eine Betonung, eine individuelle Geschmücktheit der  Persönlichkeit.
 Es scheint, daß für jede Klasse von Menschen, ja wahrscheinlich  für jedes Individuum ein bestimmtes quantitatives Verhältnis zwischen dem Triebe  zur Individualisierung und dem zum Untertauchen in die Kollektivität bestünde,  so daß, wenn auf einem bestimmten Lebensgebiete das Ausleben des einen Triebes  behindert ist, er sich ein anderes sucht, auf dem er nun das Maß, dessen er  bedarf, erfüllt.
 So scheint es, als wäre die Mode gleichsam das Ventil, aus dem  das Bedürfnis der Frauen nach irgend einem Maß von Auszeichnung und  individueller Hervorgehobenheit ausbräche, wenn ihnen dessen Befriedigung auf  anderen Gebieten mehr versagt ist.
 Im 14. und 15. Jahrhundert zeigt Deutschland eine außerordentlich starke Entwicklung der Individualität.
Die kollektivistischen Ordnungen des Mittelalters wurden durch  die Freiheit der Einzelpersönlichkeit in hohem Maße durchbrochen.
 Innerhalb dieser individualistischen Entwicklung aber fanden  die Frauen noch keinen Platz, ihnen wurde noch die Freiheit persönlicher  Bewegung und Entfaltung versagt.
 Sie entschädigten sich dafür durch die denkbar extravagantesten  und hypertropischsten Kleidermoden.
 Umgekehrt sehen wir, daß in Italien die gleiche Epoche den  Frauen den Spielraum für individuelle Entwicklung gewährt.
 Die Frauen der Renaissance hatten so viele Möglichkeiten der  Bildung, der Betätigung nach außen hin, der persönlichen Differenzierung, wie  sie ihnen dann wieder fast Jahrhunderte hindurch nicht gegönnt waren, die  Erziehung und die Bewegungsfreiheit war besonders in den höheren Schichten der  Gesellschaft für beide Geschlechter fast die gleiche.
 Aber nun wird auch aus Italien von keinerlei besonderen  Extravaganzen der weiblichen Mode aus dieser Zeit berichtet.
 Das Bedürfnis, sich auf diesem Gebiete individuell zu bewähren  und eine Art von Ausgezeichnetheit zu gewinnen, bleibt aus, weil der hierin sich  äußernde Trieb auf anderen Gebieten seine hinreichende Befriedigung gefunden  hat.
 Im allgemeinen zeigt die Geschichte der Frauen in ihrem äußeren  wie inneren Leben, in dem Individuum ebenso wie in ihrer Gesamtheit eine  vergleichsweise so große Einheitlichkeit, Nivellement, Gleichmäßigkeit, daß sie  wenigstens auf dem Gebiete der Moden, das das der Abwechslungen schlechthin ist,  einer lebhafteren Betätigung bedürfen, um sich und ihrem Leben - sowohl für das  eigene Gefühl wie für andere - einen Reiz hinzuzufügen.
 Wie zwischen Individualisierung und Kollektivierung, so besteht  zwischen Gleichmäßigkeit und Abwechslung der Lebensinhalte eine bestimmte  Proportion der Bedürfnisse, die auf den verschiedenen Gebieten hin- und  hergeschoben wird, die die Versagtheit auf dem einen durch eine irgendwie  erzwungene Gewährung auf dem andern auszugleichen sucht.
 Im ganzen wird man sagen können, daß die Frau, mit dem Manne  verglichen, das treuere Wesen ist; eben die Treue, die die Gleichmäßigkeit und  Einheitlichkeit des Wesens nach der Seite des Gemütes hin ausdrückt, verlangt  doch eben um jener Balancierung der Lebenstendenzen willen irgend eine  lebhaftere Abwechslung auf mehr abseits gelegenen Gebieten.
 Der Mann umgekehrt, der seiner Natur nach untreuer ist, der die  Bindung an das einmal eingegangene Gemütsverhältnis typischerweise nicht mit  derselben Unbedingtheit und Konzentrierung aller Lebensinteressen auf dieses  eine zu bewahren pflegt, wird infolgedessen weniger jener äußeren  Abwechslungsform bedürfen.
 Ja, das Abweisen der Veränderungen auf äußeren Gebieten, die  Gleichgültigkeit gegen die Moden der äußeren Erscheinung ist spezifisch männlich  - nicht weil er das einheitlichere, sondern grade weil er im Grunde das  vielfältigere Wesen ist und deshalb jener äußeren Abwechslungen eher entraten  mag.
 Darum betont die emanzipierte Frau der Gegenwart, die sich dem  männlichen Wesen, seiner Differenziertheit, Personalität, Bewegtheit anzunähern  sucht, auch grade ihre Gleichgültigkeit gegen die Mode.
 Auch bildet die Mode für die Frauen in gewissem Sinne einen  Ersatz für die Stellung innerhalb eines Berufsstandes.
 Der Mann, der in einen solchen hineingewachsen ist, hat sich  damit freilich in einen Kreis relativen Nivellements begeben, er ist innerhalb  dieses Standes vielen anderen gleich, er ist vielfach nur ein Exemplar für den  Begriff dieses Standes oder Berufes.
 Andrerseits und wie zur Entschädigung hierfür ist er doch nun  auch mit der ganzen Bedeutung, mit der sachlichen wie sozialen Kraft dieses  Standes geschmückt, seiner individuellen Bedeutung wird die seiner  Standeszugehörigkeit hinzugefügt, die oft die Mängel und Unzulänglichkeiten des  rein persönlichen Daseins decken kann.
 Eben dies nun leistet an so ganz anderen Inhalten die Mode,  auch sie ergänzt die Unbedeutendheit der Person, ihre Unfähigkeit, rein aus sich  heraus die Existenz zu individualisieren, durch die Zugehörigkeit zu einem durch  eben die Mode charakterisierten, herausgehobenen, für das öffentliche Bewußtsein  irgendwie zusammengehörigen Kreis.
 Auch hier wird freilich die Persönlichkeit als solche in ein  allgemeines Schema eingefügt, allein dieses Schema selbst hat in sozialer  Hinsicht eine individuelle Färbung und ersetzt so auf dem sozialen Umwege gerade  das, was der Persönlichkeit auf rein individuellem Wege zu erreichen versagt  ist.
 Daß die Demimonde vielfach die Bahnbrechern für die neue Mode  ist, liegt an ihrer eigentümlich entwurzelten Lebensform; das Pariadasein, das  die Gesellschaft ihr anweist, erzeugt in ihr einen offenen oder latenten Haß  gegen alles bereits Legalisierte, gefestigt Bestehende, einen Haß, der in dem  Drängen auf immer neue Erscheinungsformen seinen noch relativ unschuldigsten  Ausdruck findet; in dem fortwährenden Streben nach neuen, bisher unerhörten  Moden, in der Rücksichtslosigkeit, mit der gerade die der bisherigen  entgegengesetzteste leidenschaftlich ergriffen wird, liegt eine ästhetische Form  des Zerstörungstriebes, der allen Pariaexistenzen, soweit sie nicht völlig  versklavt sind, eigen zu sein scheint.
 Und wenn wir in die letzten und subtilsten Bewegungen der  Seele, die schwer mit Worten zu greifen sind, zu blicken suchen, so zeigen auch  sie jenes antagonistische Spiel der wesentlichen, menschlichen Tendenzen, die  ihr stets verschobenes Gleichgewicht durch stets neue Proportionen  wiederzugewinnen suchen.
 Es ist der Mode zwar wesentlich, daß sie alle Individualitäten  über einen Kamm schert; allein doch immer so, daß sie nie den ganzen Menschen  ergreift, sie bleibt ihm doch immer etwas Äußerliches, und zwar selbst auf den  Gebieten jenseits bloßer Kleidermoden; denn die Form der Veränderlichkeit, in  der sie sich ihm bietet, ist doch unter allen Umständen ein Gegensatz gegen die  Beständigkeit des Ichgefühls, ja dieses letztere muß gerade an diesem Gegensatz  sich seiner relativen Dauer bewußt werden, nur an diesem Dauernden kann die  Veränderlichkeit Jener Inhalte sich überhaupt als Veränderlichkeit zeigen und  ihren Reiz entfalten.
 Aber eben deshalb steht sie, wie gesagt, doch immer an der  Peripherie der Persönlichkeit, die sich selbst ihr gegenüber als piéce de  résistance empfindet oder wenigstens im Notfall empfinden kann.
 Diese Bedeutung der Mode nun ist es, die grade von feinen und  eigenartigen Menschen aufgenommen wird, indem sie sie als eine Art Maske  benutzen.
 Der blinde Gehorsam gegen die Normen der Allgemeinheit in allem  äußerlichen ist ihnen grade das bewußte und gewollte Mittel, ihr persönliches  Empfinden und ihren Geschmack zu reservieren, den sie eben wirklich ganz für  sich haben wollen, so für sich, daß sie ihn nicht in die Erscheinung treten  lassen wollen, die allen zugänglich wäre.
 So ist es grade eine feine Scham und Scheu, durch die  Besonderheit des äußeren Auftretens vielleicht eine Besonderheit des  innerlichsten Wesens zu verraten, was manche Naturen in das verhüllende  Nivellement der Mode flüchten läßt.
 Damit ist ein Triumph der Seele über die Gegebenheit des  Daseins erreicht, der wenigstens der Form nach zu den höchsten und feinsten  gehört: daß nämlich der Feind selbst in einen Diener verwandelt wird, daß grade  dasjenige, was die Persönlichkeit zu vergewaltigen schien, freiwillig ergriffen  wird, weil die nivellierende Vergewaltigung hier auf die äußeren Schichten des  Lebens derartig zu schieben ist, daß sie einen Schleier und Schutz für alles  Innere und nun um so Befreitere abgibt.
 Der Kampf zwischen dem Sozialen und dem Individuellen  schlichtet sich hier, indem die Schichten für beides sich trennen.
 Dies entspricht genau der Trivialität der Äußerung und  Unterhaltung, durch die sehr sensible und schamhafte Menschen, insbesondere  Frauen, oft über die individuelle Seele hinter dieser Äußerung zu täuschen  wissen.
 Alles Schamgefühl beruht auf dem Sich-abheben des  Einzelnen.
 Es entsteht, wenn eine Betonung des Ich stattfindet, eine  Zuspitzung des Bewußtseins eines Kreises auf diese Persönlichkeit, die doch  zugleich als irgendwie unangemessen empfunden wird; darum neigen bescheidene und  schwache Persönlichkeiten besonders stark zu Schamgefühlen, bei ihnen tritt,  sobald sie irgendwie in das Zentrum einer allgemeinen Aufmerksamkeit treten,  sobald sie sich irgendwie abheben, ein peinliches Oszillieren zwischen Betonung  und Zurücktreten des Ichgefühls ein.
 Da im übrigen jenes Sich-abheben von einer Allgemeinheit als  die Quelle des Schamgefühles von dem besonderen Inhalt ganz unabhängig ist, auf  Grund dessen es geschieht, so schämt man sich vielfach auch grade des Besseren  und Edleren.
 Wenn in der Gesellschaft im engeren Sinne des Wortes Banalität  guter Ton ist, so ist dies nicht nur die Folge gegenseitiger Rücksicht, die es  taktlos erscheinen läßt, wenn der eine sich mit irgend einer individuellen,  einzigartigen Äußerung hervortut, die ihm nicht jeder nachmachen kann; sondern  es geschieht auch durch die Furcht vor einem Schamgefühl, das gleichsam die von  dem Individuum selbst vollzogene Strafe für sein Sich-herausheben aus dem für  alle gleichen, allen gleich zugänglichen Ton und Betätigung bildet.
 Die Mode nun bietet wegen ihrer eigentümlichen inneren Struktur  ein Sich-abheben, das immer als angemessen empfunden wird.
 Die noch so extravaganteste Erscheinungs- oder Äußerungsart  ist, insoweit sie Mode ist, vor jenen peinlichen Reflexen geschützt, die das  Individuum sonst fühlt, wenn es der Gegenstand der Aufmerksamkeit anderer  ist.
 Alle Massenaktionen werden durch den Verlust des Schamgefühles  charakterisiert.
 Als Element einer Masse macht das Individuum Unzähliges mit,  was ihm, wenn es ihm in der Isolierung zugemutet würde, unüberwindliche  Widerstände erwecken würde.
 Es ist eine der merkwürdigsten sozialpsychologischen  Erscheinungen, in der sich eben dieser Charakter der Massenaktion zeigt, daß  manche Moden Schamlosigkeiten begehen, die als individuelle Zumutung von dem  Individuum entrüstet zurückgewiesen werden würden, aber als Gesetz der Mode bei  ihm ohne weiteres Gehorsam finden.
 Das Schamgefühl ist bei ihr, weil sie eben Massenaktion ist,  grade so ausgelöscht wie das Verantwortlichkeitsgefühl bei den Teilnehmern von  Massenverbrechen, vor denen der einzelne oft genug, für sich allein vor die Tat  gestellt, zurückschrecken würde.
 Sobald das Individuelle der Situation gegenüber ihrem  Gesellschaftlich-Modemäßigen stärker hervortritt, beginnt sogleich das  Schamgefühl zu wirken: viele Frauen würden sich genieren, in ihrem Wohnzimmer  und vor einem einzelnen fremden Manne so dekolletiert zu erscheinen, wie sie es  in der Gesellschaft und der Mode entsprechend, vor dreißigen oder hundert  tun.
 Die Mode ist auch nur eine der Formen, durch die die Menschen,  indem sie das Äußere der Versklavung durch die Allgemeinheit preisgeben, die  innere Freiheit um so vollständiger retten wollen.
 Auch Freiheit und Bindung gehört zu jenen Gegensatzpaaren,  deren immer erneuter Kampf, deren Hin- und Herschiebung auf den mannigfaltigsten  Gebieten dem Leben einen viel frischeren Reiz, eine viel größere Weite und  Entfaltung gestattet, als ein irgendwie gewonnenes dauerndes und nicht mehr  verrückbares Gleichgewicht beider gewähren könnte.
 Wie nach Schopenhauer jedem Menschen ein gewisses Quantum von Lust und Leid gegeben ist, das weder leer bleiben noch überfüllt werden kann und in aller Verschiedenheit und Schwankung innerer und äußerer Verhältnisse nur seine Form wechselt, so könnte man, viel weniger mystisch, entweder eine wirklich dauernde Proportion von Bindung und Freiheit oder wenigstens die Sehnsucht nach einer solchen in jeder Zeit, jeder Klasse, jedem Individuum bemerken, dem gegenüber uns nur die Möglichkeit gegeben ist, die Gebiete zu wechseln, auf die sie sich verteilen.
Und die Aufgabe des hören Lebens ist freilich, diese Verteilung so vorzunehmen, daß die sonstigen inhaltlichen Werte des Daseins dabei die Möglichkeit günstigster Entfaltung gewinnen. Dasselbe Quantum von Bindung und Freiheit kann einmal die sittlichen, die intellektuellen, die ästhetischen Werte aufs höchste steigern helfen und ein andermal, quantitativ ungeändert und nur auf andere Gebiete verteilt, das genaue Gegenteil dieses Erfolges zeitigen.
Im ganzen wird man sagen können, daß das günstigste Resultat für den Gesamtwert des Lebens sich dann ergeben wird, wenn die unvermeidliche Bindung mehr und mehr an die Peripherie des Lebens, auf seine Äußerlichkeiten geschoben wird.
Vielleicht ist Goethe in seiner späteren Epoche das leuchtendste Beispiel eines ganz großen Lebens, das durch die Konnivenz in allem Äußeren, durch die strenge Einhaltung der Form, durch ein williges Sich-beugen unter die Konventionen der Gesellschaft gerade ein Maximum von innerer Freiheit, eine völlige Unberührtheit der Zentren des Lebens durch das unvermeidliche Bindungsquantum erreicht hat.
Insofern ist die Mode, weil sie eben nur, dem Rechte vergleichbar, das Äußerliche des Lebens ergreift, nur diejenigen Seiten, die der Gesellschaft zugewandt sind - eine Sozialform von bewunderungswürdiger Zweckmäßigkeit.
Sie gibt dem Menschen ein Schema, durch das er seine Bindung an das Allgemeine, seinen Gehorsam gegen die Normen, die ihm von seiner Zeit, seinem Stande, seinem engeren Kreise kommen, aufs unzweideutigste dokumentieren kann, und mit dem er es sich so erkauft, die Freiheit, die das Leben überhaupt gewährt, mehr und mehr auf seine Innerlichkeiten und Wesentlichkeiten rückwärts konzentrieren zu dürfen.
Es finden sich nun innerhalb der Einzelseele jene Verhältnisse  von egalisierender Vereinheitlichung und individuellem Sich-abheben  gewissermaßen wiederholt, der Antagonismus der Tendenzen, der die Mode erzeugt,  überträgt sich in einer völlig formgleichen Art auch auf diejenigen inneren  Verhältnisse mancher Individuen, die mit sozialen Bindungen gar nichts zu tun  haben.
 Es zeigt sich an der Erscheinung, die ich hier meine, jener oft  hervorgehobene Parallelismus, mit dem die Verhältnisse zwischen Individuen sich  an den Beziehungen der seelischen Elemente des Individuums wiederholen.
 Mit mehr oder weniger Absicht schafft sich oft das Individuum  für sich selbst ein Benehmen, einen Stil, der sich durch den Rhythmus seines  Auftauchens, Sich-geltend-machens und Abtretens als Mode charakterisiert.
 Namentlich junge Menschen zeigen oft eine plötzliche  Wunderlichkeit in ihrer Art, sich zu geben, ein unvermutet, sachlich  unbegründet, auftretendes Interesse, das ihren ganzen Bewußtseinskreis  beherrscht und ebenso irrational wieder verschwindet.
 Man könnte dies als eine Personalmode bezeichnen, die einen  Grenzfall der Sozialmode bildet.
 Sie wird einerseits durch das individuelle  Unterscheidungsbedürfnis getragen und dokumentiert damit denselben Trieb, der  auch an der Sozialmode wirksam wird.
 Das Bedürfnis aber der Nachahmung, der Gleichartigkeit, der  Einschmelzung des einzelnen in ein Allgemeines wird hier rein innerhalb des  Individuums selbst befriedigt, nämlich durch die Konzentration des eigenen  Bewußtseins auf diese eine Form oder Inhalt, durch die einheitliche Färbung, die  das eigene Wesen dadurch erhält, durch die Nachahmung seiner selbst gleichsam,  die hier an die Stelle der Nachahmung anderer tritt.
 Ein gewisses Zwischenstadium zwischen Individual- und  Personalmode wird oft innerhalb engerer Kreise verwirklicht.
 Banale Menschen adoptieren oft irgend einen Ausdruck - und zwar  meistens viele desselben Kreises eben denselben - den sie nun auf alle passenden  und unpassenden Objekte bei jeder Gelegenheit anwenden.
 Dies ist einerseits Gruppenmode, ist andererseits aber doch  auch Individualmode, weil der Sinn davon gerade ist, daß der einzelne die  Gesamtheit seines Vorstellungskreises dieser Formel untertänig macht.
 Es wird hiermit der Individualität der Dinge brutale Gewalt  angetan, alle Nuancierungen werden verwischt durch die eigentümliche Übermacht  dieser einen Bezeichnungskategorie; so, wenn man z. B. alle aus irgend einem  Motive gefallenden Dinge als »chic« oder als »schneidig« bezeichnet, Dinge, die  dem Gebiete, auf dem jene Ausdrücke ein Heimatrecht haben, um eine Welt fern  stehen.
 Auf diese Weise wird die innere Welt des Individuums einer Mode  unterworfen und wiederholt so die Form der von der Mode beherrschten Gruppe.
 Und dies gerade auch durch die sachliche Sinnlosigkeit solcher  Individualmoden, die die Macht des formalen, unifizierenden Momentes über das  sachlich-vernunftmäßige zeigen - gerade wie es für so viele Menschen und Kreise  nur erforderlich ist, daß sie überhaupt einheitlich beherrscht werden, und die  Frage, wie qualifiziert oder wertvoll die Herrschaft ist, erst eine sekundäre  Rolle spielt.
 Es ist nicht zu leugnen: indem den Dingen durch jene  Bezeichnungsmoden Gewalt angetan wird, indem sie alle gleichmäßig in eine von  uns an sie herangebrachte Kategorie eingekleidet werden, übt das Individuum  einen Machtanspruch über sie, es gewinnt ein individuelles Kraftgefühl, eine  Betonung des Ich ihnen gegenüber.
 Die Erscheinung, die hier als Karikatur auftritt, ist in  geringeren Maßen allenthalben in dem Verhältnis der Menschen zu den Objekten  bemerkbar.
 Es sind nur die ganz hohen Menschen, die die größte Tiefe und  Kraft ihres Ich gerade darin finden, daß sie die eigene Individualität der Dinge  respektieren.
 Aus der Feindseligkeit, die die Seele gegenüber der Übermacht,  Selbständigkeit, Gleichgültigkeit des Kosmos empfindet, quellen doch neben den  erhabensten und wertvollsten Kraftaufwendungen der Menschheit immer wieder die  Versuche gleichsam einer äußerlichen Vergewaltigung der Dinge, das Ich setzt  sich ihnen gegenüber durch, nicht indem es ihre Kräfte aufnimmt und formt, nicht  indem es ihre Individualität erst anerkennt, um sie dann sich dienstbar zu  machen, sondern indem es sie äußerlich unter irgend ein subjektives Schema  beugt, wodurch es denn freilich im letzten Grunde keine Herrschaft über die  Dinge, sondern nur über sein eigenes, gefälschtes Phantasiebild ihrer gewonnen  hat.
 Aber das Machtgefühl, das daraus stammt, zeigt seine  Unbegründetheit, seinen Illusionismus an der Schnelligkeit, mit der derartige  Modeausdrücke vorübergehen.
 Es ist ebenso illusionär wie das Gefühl der Einheitlichkeit des  Wesens, das aus dieser Schematisierung aller Äußerungen für den Augenblick  quillt.
 Es hat sich uns ergeben, daß in der Mode sozusagen die  verschiedenen Dimensionen des Lebens ein eigenartiges Zusammenfallen gewinnen,  daß sie ein komplexes Gebilde ist, in dem alle gegensätzlichen Hauptrichtungen  der Seele irgendwie vertreten sind.
 Dadurch wird ohne weiteres begreiflich, daß der Gesamtrhythmus,  in dem die Individuen und die Gruppen sich bewegen, auch auf ihr Verhältnis zur  Mode bestimmend einwirken wird, daß die verschiedenen Schichten einer Gruppe,  ganz abgesehen von ihren verschiedenen Lebensinhalten und äußeren Möglichkeiten,  schon rein dadurch eine verschiedene Beziehung zur Mode haben werden, daß ihre  Lebensinhalte sich entweder in konservativer oder in rasch variierender Form  abwickeln.
 Einerseits sind die unteren Massen schwerer beweglich und  langsam entwickelbar.
 Andererseits sind gerade die höchsten Stände bekanntlich die  konservativen, ja oft genug archaistisch; sie fürchten oft genug jede Bewegung  und Veränderung, nicht weil der Inhalt derselben ihnen antipatisch oder  schädlich wäre, sondern weil es überhaupt Veränderung ist, und weil jede  Modifikation des Ganzen, das ihnen in seiner augenblicklichen Verfassung eben  die höchste Stellung einräumt, ihnen verdächtig und gefährlich ist; ihnen kann  keine Veränderung mehr einen Zuwachs von Macht bringen, sie haben von jeder  höchstens etwas zu fürchten, aber von keiner mehr etwas zu hoffen.
 Die eigentliche Variabilität des geschichtlichen Lebens liegt  deshalb im Mittelstand, und deshalb hat die Geschichte der sozialen und  kulturellen Bewegungen ein ganz anderes Tempo angenommen, seit der tiers état  die Führung übernommen hat.
 Deshalb ist die Mode, die Wechsel- und Gegensatzform des  Lebens, seitdem viel breiter und erregter geworden; auch schon wegen der  Wandelungen des unmittelbaren politischen Lebens: denn der Mensch bedarf eines  ephemeren Tyrannen, wenn er sich des dauernden und absoluten entledigt hat.
 Der häufige Wechsel der Mode ist eine ungeheure Knechtung des  Individuums und insofern eine der erforderlichen Komplemente der gewachsenen  gesellschaftlichen und politischen Freiheit.
 Gerade für eine Lebensform, für deren Inhalte der Augenblick  der erreichten Höhe zugleich schon der des Herabsinkens ist, ist ein Stand der  eigentlich angewiesene Ort, dessen ganzes Wesen so viel variabler, so viel  unruhiger rhythmisiert ist als die untersten Stände mit ihrem dumpf-unbewußten  und die höchsten Stände mit ihrem bewußt gewollten Konservativismus.
 Klassen und Individuen, die nach fortwährender Abwechselung  drängen, weil eben die Raschheit ihrer Entwicklung ihnen den Vorsprung vor  anderen gewährt, finden in der Mode das Tempo ihrer eigenen seelischen  Bewegungen wieder.
 Und ganz direkt muß der soziale Fortschritt den raschen Wechsel  der Mode begünstigen, weil er die tiefer Stehenden so viel rascher zur  Nachahmung der Höheren befähigt und damit jener oben charakterisierte Prozeß, in  dem jede höhere Schicht die Mode in dem Augenblick verläßt, in dem die tiefere  sich ihrer bemächtigt, eine früher ungeahnte Breite und Lebendigkeit gewonnen  hat.
 Auf den Inhalt der Mode hat dies bedeutsame Einflüsse.
 Vor allen Dingen bewirkt es, daß die Moden nicht mehr so  kostspielig und deshalb ersichtlich nicht mehr so extravagant sein können, wie  sie in früheren Zeiten waren, wo die Kostbarkeit der erstmaligen Anschaffung  oder die Mühseligkeit im Umbilden von Benehmen und Geschmack durch eine längere  Dauer ihrer Herrschaft ausgeglichen wurde.
 Je mehr ein Artikel raschem Modewechsel unterliegt, desto  stärker ist der Bedarf nach billigen Produkten seiner Art.
 Nicht nur weil die breiteren und also ärmeren Massen doch  Kaufkraft genug haben, um die Industrie großenteils nach sich zu bestimmen, und  durchaus Gegenstände fordern, die wenigstens den äußeren und unsoliden Schein  des Modernen tragen, sondern auch weil selbst die höheren Schichten der  Gesellschaft die Raschheit des Modewechsels, die ihnen durch das Nachdrängen der  unteren Schichten oktroyiert wird, nicht leisten könnten, wenn ihre Objekte  nicht relativ billig wären.
 Das Tempo der Entwicklung ist bei den eigentlichen Modeartikeln  von solcher Bedeutsamkeit, daß es diese sogar gewissen Fortschritten der  Wirtschaft entzieht, die auf anderen Gebieten allmählich erreicht sind.
 Namentlich bei den älteren Produktionszweigen der modernen  Industrie hat man bemerkt, daß das spekulative Moment allmählich aufhört, eine  maßgebende Rolle zu spielen.
 Die Bewegungen des Marktes werden genauer übersehen, die  Bedürfnisse können besser vorausberechnet und die Produktion genauer reguliert  werden als früher, so daß die Rationalisierung der Produktion immer mehr Boden  gegenüber dem Zufall der Konjunkturen, dem planlosen Hin- und Herschwanken von  Angebot und Nachfrage gewinnt.
 Nur die reinen Modeartikel scheinen davon ausgenommen zu  sein.
 Die polaren Schwankungen, denen die moderne Wirtschaft sich  vielfach schon zu entziehen weiß, und von denen fort sie ersichtlich zu ganz  neuen wirtschaftlichen Ordnungen und Bildungen strebt, sind auf dem der Mode  unmittelbar unterworfenen Gebiete doch noch herrschend.
 Die Form eines fieberhaften Wechsels ist hier so wesentlich,  daß sie wie in einem logischen Widerspruch gegen die Entwicklungstendenzen der  modernen Wirtschaft steht.
 Gegenüber diesem Charakter aber zeigt die Mode nun die höchst  merkwürdige Eigenschaft, daß jede einzelne Mode doch gewissermaßen auftritt, als  ob sie ewig leben wollte.
 Wer sich heute ein Mobilar kauft, das ein Vierteljahrhundert  halten soll, kauft es sich unzählige Male nach der neuesten Mode und zieht  diejenige, die vor zwei Jahren galt, überhaupt nicht mehr in Betracht.
 Und doch hat offenbar nach ein paar Jahren der Reiz der Mode  dieses jetzige genau so verlassen, wie er das frühere schon jetzt verlassen hat,  und Gefallen oder Mißfallen an beiderlei Formen werden dann von andersartigen,  sachlichen Kriterien entschieden.
 Hier scheint doch außer der bloßen Befangenheit im Augenblick  noch ein eigentümlicher psychologischer Prozeß zu walten.
 Es gibt immer eine Mode, und sie ist deshalb als allgemeiner  Begriff, als Faktum der Mode überhaupt, in der Tat unsterblich, und dies scheint  auf jede einzelne ihrer Ausgestaltungen irgendwie zu reflektieren, obgleich das  Wesen jeder einzelnen grade ist, nicht unvergänglich zu sein.
 Die Tatsache, daß der Wechsel selbst nicht wechselt, gibt hier  jedem der Gegenstände, an denen er sich vollzieht, einen psychologischen  Schimmer von Dauer.
 Auch verwirklicht sich diese Dauer innerhalb des Wechsels noch  in der folgenden besonderen Weise an den einzelnen Modeinhalten.
 Es kommt der Mode freilich nur auf den Wechsel an; allein sie  hat wie jedes Gebilde die Tendenz auf Kraftersparnis, sie sucht ihre Zwecke so  reichlich wie möglich, aber dennoch mit den relativ sparsamsten Mitteln zu  erreichen.
 Eben deshalb schlägt sie - was besonders an der Kleidermode  klar wird - immer wieder auf frühere Formen zurück, so daß man ihren Weg direkt  mit einem Kreislauf verglichen hat.
 Sobald eine frühere Mode einigermaßen aus dem Gedächtnis  geschwunden ist, liegt kein Grund vor, sie nicht wieder zu beleben und  vielleicht den Reiz des Unterschiedes, von dem sie lebt, demjenigen Inhalt  gegenüber fühlen zu lassen, der seinerseits bei seinem Auftreten eben diesen  Reiz aus seinem Gegensatz gegen die frühere und jetzt wieder belebte gezogen  hat.
 Übrigens geht die Macht der Bewegungsform, von der die Mode  lebt, nicht so weit, jeden Inhalt ganz gleichmäßig ihr zu unterwerfen.
 Selbst auf den von der Mode beherrschten Gebieten sind nicht  alle Gestaltungen gleichmäßig geeignet, Mode zu werden.
 Bei manchen leistet ihr eigentümliches Wesen dem einen gewissen  Widerstand.
 Dies ist mit dem ungleichmäßigen Verhältnis zu vergleichen, das  die Gegenstände der äußeren Anschauung zu der Möglichkeit haben, zu Kunstwerken  gebildet zu werden.
 Es ist eine sehr bestechende, aber keineswegs tiefgehende und  haltbare Meinung, daß jedes Objekt der Wirklichkeit gleichmäßig geeignet wäre,  zum Objekt eines Kunstwerkes zu werden.
 Die Formen der Kunst, wie sie sich historisch, von tausend  Zufälligkeiten bestimmt, vielfach einseitig, an technische Vollkommenheiten und  Unvollkommenheiten gebunden, herausgebildet haben, stehen keineswegs in  unparteiischer Höhe über allen Inhalten der Wirklichkeit; sie haben vielmehr zu  manchen dieser ein engeres Verhältnis als zu anderen, manche gehen leicht, wie  von Natur für diese Kunstformen vorgebildet, in sie ein, andere entziehen sich  wie eigensinnig und von
 Natur anders gerichtet, der Umbildung in die gegebenen Kunstformen.
Die Souveränität der Kunst über die Wirklichkeit bedeutet  keineswegs, wie der Naturalismus und viele Theorien des Idealismus meinen, die  Fähigkeit, alle Inhalte des Daseins gleichmäßig in ihren Bereich zu ziehen.
 Keine der Formungen, mit denen der menschliche Geist den Stoff  des Daseins bemeistert und zu seinen Zwecken bildet, ist so allgemein und  neutral, daß alle jene Inhalte, gleichgültig gegen ihre eigene Struktur, sich  ihr gleichmäßig fügten.
 So kann die Mode scheinbar und in abstracto freilich jeden  beliebigen Inhalt in sich aufnehmen, jede beliebige gegebene Form der Kleidung,  der Kunst, des Benehmens, der Meinungen kann Mode werden.
 Und doch liegt im inneren Wesen mancher Formen eine besondere  Disposition dazu, sich gerade als Mode auszuleben, während manche ihr von innen  her einen Widerstand leisten.
 So ist z. B. der Modeform alles das relativ fern und fremd, was  man als klassisch bezeichnen kann, obgleich es sich natürlich gelegentlich auch  ihr nicht entzieht.
 Denn das Wesen des Klassischen ist eine Konzentriertheit der  Erscheinung um einen ruhenden Mittelpunkt, die Klassik hat etwas Gesammeltes,  was gleichsam nicht so viele Angriffspunkte bietet, an denen Modifikation,  Störung, Vernichtung der Balance ansetzen könnte.
 Für die klassische Plastik ist das Zusammennehmen der Glieder  bezeichnend, das Ganze wird von innen her absolut beherrscht, der Geist und das  Lebensgefühl des Ganzen ziehen durch die anschauliche Zusammengehaltenheit der  Erscheinung Jeden einzelnen Teil derselben gleichmäßig in sich ein.
 Das ist der Grund, weshalb man von der »klassischen Ruhe« der  griechischen Kunst spricht; es ist ausschließlich die Konzentriertheit der  Erscheinung, die keinem Teil ihrer eine Beziehung zu Kräften und Schicksalen  außerhalb eben dieser Erscheinung gestattet und dadurch das Gefühl erregt, daß  diese Gestaltung den wechselnden Einflüssen des allgemeinen Lebens entzogen  ist.
 Im Gegensatz dazu wird alles Barocke, Maßlose, Extreme von  innen her der Mode zugewandt sein, über so charakterisierte Dinge kommt die Mode  nicht wie ein äußeres Schicksal, sondern gleichsam wie der geschichtliche  Ausdruck ihrer sachlichen Beschaffenheiten.
 Die weit ausladenden Glieder der Barockstatue sind gleichsam  immer in Gefahr, abgebrochen zu werden, das innere Leben der Figur beherrscht  sie nicht vollständig, sondern gibt sie der Beziehung zu den Zufälligkeiten des  äußeren Seins preis.
 Barocke Gestaltungen haben in sich schon die Unruhe, den  Charakter der Zufälligkeit, die Unterworfenheit unter den momentanen Impuls, die  die Mode als Form des sozialen Lebens verwirklicht.
 Dazu kommt, daß ausschweifende, individuell sehr zugespitzte,  launenhafte Formen sehr leicht ermüdend wirken und darum schon rein  physiologisch zu der Abwechslung drängen, für die die Mode das Schema  abgibt.
 Hier liegt auch eine der tiefen Beziehungen, die man zwischen  den klassischen und den »natürlichen« Gestaltungen der Dinge aufzufinden  meinte.
 So unsicher begrenzt und so irreführend oft der Begriff des  Natürlichen überhaupt ist, so kann man doch wenigstens das Negative sagen, daß  gewisse Formen, Neigungen, Anschauungen auf diesen Titel keinen Anspruch  haben, und eben diese werden es auch sein, die dem modischen Wechsel ganz  besonders schnell unterliegen, weil ihnen, die Beziehung zu dem beharrenden  Zentrum der Dinge und des Lebens fehlt, die den Anspruch dauernden Bestandes  rechtfertigte.
 So kam durch eine Schwägerin Ludwigs des Vierzehnten,  Elisabeth Charlotte von der Pfalz, die eine völlig maskuline  Persönlichkeit war, an dem französischen Hofe die Mode auf, daß Frauen sich wie  Männer benahmen und anreden ließen und Männer umgekehrt wie Frauen.
 Es liegt auf der Hand, wie sehr etwas Derartiges schlechthin  nur Mode sein kann, weil es sich von derjenigen unverlierbaren Substanz der  menschlichen Verhältnisse entfernt, auf die schließlich die Form des Lebens  immer wieder irgendwie zurückkommen muß.
 So wenig man sagen kann, daß alle Mode etwas Unnatürliches ist  - schon deshalb nicht, weil die Lebensform der Mode selbst dem Menschen als  gesellschaftlichem Wesen natürlich ist - so wird man umgekehrt doch von dem  schlechthin Unnatürlichen sagen können, daß es wenigstens in der Form der  Mode bestehen kann. -
 Es liegt aber, um das Ganze zusammenzufassen, der eigentümlich  pikante, anregende Reiz der Mode in dem Kontraste zwischen ihrer ausgedehnten,  alles ergreifenden Verbreitung und ihrer schnellen und gründlichen  Vergänglichkeit, dem Rechte auf Treulosigkeit ihr gegenüber.
 Er liegt nicht weniger in der Enge, mit der sie einen  bestimmten Kreis schließt und dessen Zusammengehörigkeit ebenso als ihre Ursache  wie als ihre Wirkung zeigt - wie in der Entschiedenheit, mit der sie ihn gegen  andre Kreise abschließt.
 Er liegt endlich ebenso in dem Getragen-sein durch einen  sozialen Kreis, der seinen Mitgliedern gegenseitige Nachahmung auferlegt und  damit den einzelnen von aller Verantwortlichkeit - der ethischen wie der  ästhetischen - entlastet, wie in der Möglichkeit, nun doch innerhalb dieser  Schranken originelle Nuancierung, sei es durch Steigerung, sei es sogar durch  Ablehnung der Elemente der Mode zu produzieren.
 So erweist sich die Mode nur als ein einzelnes, besonders  charakterisiertes unter jenen mannigfachen Gebilden, in denen die soziale  Zweckmäßigkeit die entgegengesetzten Strömungen des Lebens zu gleichen Rechten  objektiviert hat.
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